Kamele in Europa - gestern und heute

Exot oder Ureinwohner?

Großkamele wie das zweihöckrige Trampeltier und das einhöckrige Dromedar kennt der durchschnittliche Mitteleuropäer von Angesicht zu Angesicht meist nur aus Zoos und Zirkussen. Manch einer kennt sie aber vielleicht auch schon von einem der Kamelhöfe, die seit den 70er Jahren in ganz Mitteleuropa mit stetig wachsender Zahl entstehen. Die meisten dieser Höfe halten Kamele zu touristischen Zwecken oder aus reiner Liebhaberei, einige von ihnen allerdings auch als landwirtschaftliche Nutztiere, vorrangig zur Milchproduktion.

Oft ordnen Europäer Dromedare und Trampeltier auf den ersten Blick den Exoten zu, also Tierarten aus fernen, oft überseeischen oder tropischen Ländern.

Aber ist das richtig?
Der ursprüngliche Lebensraum des Trampeltiers war der eurasische Steppengürtel. Dieser reicht von der chinesischen Mandschurei weit im Osten Asiens bis zur ungarischen Puszta im Westen, also weit hinein ins Herz europäische Herz.

Gebiete von EU-Länder oder EU-Beitrittskandidaten wie z.B. Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Ukraine, Kirgisistan, Moldawien und Usbekistan liegen ganz oder teilweise innerhalb dieses Steppengürtels, also im ursprünglichen Lebensraum des Kamels.

Erst im Rahmen der Industrialisierung der Landwirtschaft, also ab Beginn des 20 Jahrhunderts, wurden die europäischen Teile des Steppengürtels weitgehend urbar gemacht und die zuvor dort lebenden nomadischen Volksgruppen mit ihren Tieren wurden verdrängt. Es war gleichzeitig ein unglaublich massiver Eingriff in die Natur - mit riesigen Bewässerungssystemen wurde zum Beispiel aus ukrainischem Steppengebiet die heutige „Kornkammer“ Europas. Zuvor streiften neben anderen klassischen Nomadentieren wie Schafen oder Ziegen auch Kamele durch diese Gegend.
Steppenvölker, wie die Tataren oder z.B. die muslimischen Nogais waren dort u.a. traditionelle Kamelhalter, die bis zu ihrer vollständigen Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg u.a. im Norden des Mittelmeeres einschließlich der Krim mit ihren Tieren lebten. Erst gegen Ende des 20 Jahrhundert verschwanden die Kamele beispielsweise aus der Ukrainischen Landwirtschaft ganz, weil die nomadische Viehwirtschaft komplett auf Siedlungslandwirtschaft umgestellt wurde.

Auf europäischen Grenzgebiet zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer stoßen die traditionellen Verbreitungsräume von Dromedar und Trampeltier aufeinander. Da die historische Kamelnutzung auch in Europa primär landwirtschaftlicher Art war, wurden überall dort, wo es klimatisch möglich war, das Dromedar bevorzugt: Es verträgt zwar, anders als das Trampeltier, keine Minustemperaturen von 20 Grad und mehr, gibt aber im Durchschnitt deutlich mehr Milch.
Oft wurden und werden daher Hybriden genutzt: das warme Fell des Trampeltiers gepaart mit der Milchleistung des Dromedars.
Eine der traditionellen weltweiten Hochburgen der Hybridzucht und der hochmodernen Kamelnutzung in der Landwirtschaft liegt noch heute nördlich des Kaspischen Meeres, also auf dem europäischen Kontinent! Dort gibt es sogar verschiedene, fest definierte Hybridrassen.

Aber nicht nur im Osten Europas lebt das Kamel traditionell: Schauen wir in den Süden: Vor ungefähr. 900 Jahren, vermutlich zuerst im Jahr 1405, wurden afrikanische Dromedare auf den Kanaren eingeführt und dort über die Jahrhunderte landwirtschaftlich genutzt. Kurzzeitig ging ein Teil dieser Tiere auch auf das spanische Festland, etablierten sich dort aber nur kurzzeitig als neues landwirtschaftliches Nutztier.  Bis heute allerdings existiert die Population auf den Kanaren und 2012 wurde sogar das „Canary Island Domedary“ als eigenständige Rasse anerkannt, eine Kamelrasse, die in Europa entstand und die es ausschließlich in Europa gibt!

In Bulgarien, um ein weiteres Beispiel zu nennen, gab es ab 1920 im östlichen Rodopen-Gebirge, eine große Dromedarzucht, wobei die Tiere vorrangig als Lastenkamele für Transporte in schlecht erschlossenen Gebieten eingesetzt wurden. Um die Gegend von Topolowgrad waren ca.1000 Tiere unterwegs.

In Mecklenburg-Vorpommern versuchte in den 1950er Jahren die russische Besatzungsmacht, Trampeltiere in die Landwirtschaft der DDR einzuführen. Dieser Versuch scheiterte, vermutlich durch die damals noch fehlenden veterinärmedizinischen Entwurmungsmittel. Heute ist die Haltung in nordeuropäischen Ländern möglich, wie verschiedene, teilweise Jahrzehnte alte Kamelhaltungen zeigen.

Und sonst? Da die klassische Kamelhaltung auch in Europa weitgehend auf Nomadentum beruhte, sind schriftliche oder archäologische Überlieferungen rar. Trotzdem wissen wir zum Beispiel von alten Fotos aus der Gegend um Dobrudscha in Rumänien, dass Kamele dort bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts anzutreffen waren. Ausgrabungsfunde in dieser Gegend an zwei verschiedenen römisch-byzantinischen Städten vom 9. bis 12 Jahrhundert belegen, dass die Kamelhaltung dort fast 1500 Jahre Tradition hat!

Archäologisch nachgewiesen ist das Kamel aber in ganz Mittel- und Südeuropa, so gibt es auch Funde in Deutschland, Österreich, Ungarn, Serbien und Bulgarien.

Dabei wurden nicht nur einzelne, sondern teilweise Knochen ganzer Kamelherden gefunden, die sowohl Trampeltieren, Dromedaren und deren Hybriden zugeordnet werden konnten.

Die Anzahl der Knochenfunde im Vergleich zu denen von Pferden oder Rindern zeigen, dass das Kamel fast nie eine Hauptrolle in den europäischen Tierbeständen hatte, es gehört aber trotzdem zu den in Europa historisch gehaltenen Haustierarten!
Somit ist die Betrachtungsweise des Kamels als Exot auch archäologisch widerlegt.

Fazit:
Teile von Europa liegen auf dem traditionellen Verbreitungsgebiet des Trampeltiers.
Zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer grenzt Europa an den typischen Lebensraum des Dromedars.
Beide Arten wurden bis fast zur Gegenwart traditionell auf europäischem Gebiet genutzt und sind noch heute in modernen Landwirtschaften nördlich des Kaspischen Meeres anzutreffen.

Das Kamel zählt zu den historischen Haustierrassen in Europa!

 

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Die besondere Rolle des Kamels in der Menschheitsgeschichte

Dieser Artikel ist in Arbeit und wird in Kürze publiziert.

Der Beitrag des Kamels bei der Lösung globaler Probleme

Dieser Artikel ist in Arbeit und wird in Kürze publiziert.

Griechenland

https://greekreporter.com/2022/07/08/what-happened-camels-greece/